Beim Nachbarn brennt’s. Beim Nachbarn brennt’s und endlich ist was los. Wenn in einem kleinen Kaff etwas passiert, fühlt es sich fast an, als würde eine Theateraufführung gratis stattfinden.
Es ist ein herrlicher Sommertag, so wie die meisten sizilianischen Sommertage. Mein Plan für heute wäre ein Stadtbummel in Marsala gewesen, es ist mir aber zu heiß und ich entscheide mich für den Strand.
Das Wasser ist aber nach dem letzten Sturm eisig, deshalb fällt die Option Strand weg. Also schaue ich bei meinem Kollegen vorbei. Der hat zur Feier des Tages eine Flasche Sekt aufgemacht und bietet mir gleich ein Gläschen an. Was es zu feiern gibt, das bleibt mir nach wie vor ein Rätsel. Aber egal, wir diskutieren, wie immer und schlürfen den Sekt. Da ich nicht zu denjenigen gehöre, die stundenlang an einem Fleck sitzen können, gehe ich nach einem halben Gläschen Sekt nach Hause.
Schon beim Verlassen des Grundstücks sage ich zu meinem Kollegen, schau mal die schwarze Rauchwolke am Himmel, da verbrennt mal wieder jemand seinen Müll. Er ärgert sich so richtig in sizilianischer Manier und mit einem Wust von Schimpfwörtern. Es kommt leider sehr oft vor, dass der Müll verbrennt wird, anstatt entsorgt und dann stinkt es nicht nur tagsüber entsetzlich, sondern zu allen erdenklichen Uhrzeiten.
Beim Nachbarn brennt’s
Wie ich im Auto sitze und Richtung meiner Wohnung fahre, wird mir immer mulmiger. Die Rauchwolke scheint genau daher zukommen, wo ich wohne. Sofort überlege ich, ob ich beim Verlassen des Hauses den Herd ausgeschaltet habe, oder sonst etwas angelassen habe. Nichts, mir fällt nichts ein. Ich denke an die desaströse Elektrik in dem Haus und es könnte tatsächlich mein Haus sein.
Noch in Gedanken klingelt mein Handy, mein Nachbar ruft an und fragt: „Wo bist zu?“ Ich frage zurück: „Wo brennt es?“ Beim Nachbarn brennt’s, war die Antwort und ich fahre schneller. Zwar bin ich erleichtert, aber auch das könnte für mich zur Katastrophe werden. Immer wieder denke ich an meinen Schnuffi, der ahnungslos hinter mir im Auto sitzt und keine Ahnung davon hat, dass für ihn nochmal alles gut gegangen ist. Nicht auszudenken, wenn ich nach Marsala gefahren wäre und mein Hund im Garten gelassen hätte.
Auf dem Dorfplatz angekommen, herrscht reges Treiben. Der Platz ist voll mit Menschen und Autos. Meine ganzen Nachbarn sind versammelt und glotzen. Die Neugierigen aus der Nachbarschaft sind auch schon da und die entfernter wohnenden quetschen sich mit ihren Autos durch das Chaos, um auch ja nichts zu verpassen. Ich parke mein Auto zwischen den Häusern, denn an mein Haus komme ich nicht ran. Bei meinem Nachbarn brennt es und es ist genau die Seite seines Hauses, an der ich vorbei müsste, um an meinen Hauseingang zu kommen. Schöner Mist, denn das kann dauern.
Sofort höre ich Fragen nach meinen Fenstern, ob die geschlossen sind bis oh je, oh je du arme, hier wirst nicht mehr wohnen können. Na toll, denke ich. Ausgerechnet jetzt, in der Hochsaison, da kann ich dann in meinem Auto hausen wie ein Penner.
Mein Nachbar hat eine neue Leidenschaft entdeckt – das Filmen
Einen sehr ausführlichen Film, wie es brennt, bekomme ich von einem meiner Nachbarn geschickt. Der immer in erster Reihe, noch von den Feuerwehrleuten am Brandherd steht, damit ihm auch ja nichts entgeht.
Was für ein Feuerwehrauto
Da fällt mein Blick auf das Feuerwehrauto und mir fallen beinahe die Augen aus dem Kopf. Mir stellt sich beim Anblick die Frage, wie hier eigentlich gelöscht werden soll? Das mickerige Feuerwehrauto sieht zwar neu, aber der Wassertank sieht auch putzig aus, geradezu niedlich. Meiner Einschätzung nach hat der nicht mehr als 1.000 Liter Fassungsvermögen. Da ich weiß, wo es brennt, kann das Wasser niemals ausreichen. Denn mein Nachbar Davide ist leider ein übelst Drogen verseuchte Dieb. Der klaut wirklich alles, was nicht nie- und nagelfest ist und schnell versetzt werden kann. Der Rest seiner Beute, was in der Regel Plastik ist, kommt auf den großen Haufen und das ist der Haufen, der gerade lichterloh brennt. Außerdem befinden sich dort noch die Überreste aus dem Geschäft seines Vaters und der hat vor Jahren Autoreifen geflickt.
Ich frage die Umstehenden, warum hier nicht gelöscht wird? Die Antwort kommt prompt, weil der Tank schon leer ist! Jetzt steht ein Anwohner auf dem Feuerwehrauto und füllt den Tank mit dem Gartenschlauch auf. Man o Mann, das kann also noch dauern!
Mein Nachbar, die diebische Elster
Plötzlich kommt besagter Dieb, also mein Nachbar Davide, dessen Müll gerade brennt, auf dem Fahrrad angeradelt. Er staunt nicht schlecht, aber anscheinend ist es für ihn keine Überraschung, denn er fragt die Umstehenden sofort, ob die Afrikaner* hier waren. (*Hier wird die Aussage des Eigentümers wiedergegeben.)
Es wird klar, es sind mal wieder Drogen im Spiel. Drogenschulden sind in etwa wie Spielschulden, die sind zurückzahlbar, und zwar immer, ohne Ausnahme, ansonsten gibt’s eine Warnung, siehe Feuer, bevor schlimmeres droht.
Nun gut. Immerhin greift Davide selbst zu seinem Gartenschlauch und klettert auf sein Dach, um beim Löschen zu helfen. Aber auch sein Wasserstrahl aus dem Gartenschlauch ähnelt eher einem kleinen Jungen, der Pipi macht. Ich sehe es klar vor Augen, heute muss ich im Kofferraum schlafen, dieses Mal mit Hund.
Ich rufe zum zweiten Mal meinen Kollegen an, denn schließlich ist es das Haus seiner Eltern, in dem ich wohne. Er bagatellisiert zuerst und sagt, Davide wird ein Feuerchen machen, um das Plastik von seiner Beute zu verbrennen, damit man den Rest beim Eisenhändler verkaufen kann. Nachdem ich ein Foto schicke, scheint er zu begreifen, dass es wirklich brennt.
Freier Eintritt für alle
Ich bekomme es gar nicht mit, dass mein Kollege inzwischen anwesend ist, aber man hört ihn. Er streitet sich mit Davide und beide beschimpfen sich gegenseitig. Auf die Hauswand hat jemand deutlich das geschrieben, was Davide ist – ein Dieb!* Jetzt ist es für Davide die passende Gelegenheit, den Brand meinem Kollegen in die Schuhe zu schieben. Leider wird das nicht funktionieren, denn er hat ein Alibi. Nachbarn und Gaffer fühlen sich plötzlich wie bei einer Theateraufführung, bedauerlicherweise gibt es nur Stehplätze. Hin und wieder hört man Lacher aus dem Publikum, mal für die eine, mal für die andere Seite. Es fallen Morddrohungen und üble Beschimpfungen zwischen meinem Kollegen und Davide, aber weder die anwesenden Carabinieri, noch die Feuerwehrleute greifen ein. Es ist ja nur ein Wortgefecht und außerdem unterhaltsam, so wie im Theater halt auch.
Mehr Wasser rückt an
Endlich rückt ein richtiges Feuerwehrauto an, mit ordentlich Wasser beladen und Druck auf der Leitung. Es reicht nur zum Löschen, aber nicht, um den ganzen Plastikschrott und die Autoreifen unter Wasser zu setzen, damit ein Aufflammen verhindert wird. Ein weiteres Mal muss das Feuerwehrauto an die Wasserzapfsäule fahren, um aufzutanken und noch einmal den Müll in Wasser zu ertränken, erst dann darf ich in mein Haus.
Es hätte schlimmer sein können
Dafür, dass ich ein kleines Fenster im oberen Stock offen gelassen habe, ist meine Wohnung, bis auf etwas Brandgestank, echt gut davon gekommen. Ich lüfte noch ein paar Stunden und kann dann tatsächlich im Haus schlafen. Leider ist das Theater noch nicht vorbei, es geht weiter, auch ohne Zuschauer.
Der Tag danach
Ich stehe früh auf und habe nur ein Bedürfnis – zu putzen. Von oben nach unten in allen Ecken, der Dreck mit dem Restgestank muss weg. Draußen ist es heiß und ich setze mich nur kurz hin, um einmal durchzuschnaufen. Dann höre ich es, ein dumpfes Geräusch und wieder und wieder. Das kann nur mein Nachbar sein, dieser elendige Nichtsnutz, was der mir inzwischen auf die Nerven geht, dass kann ich gar nicht in Worte fassen. Nichts wird von den umliegenden Bewohnern mehr ersehnt, als dass der endlich in den Knast kommt. So viel Schaden wie der schon angerichtet hat, das passt normalerweise in kein Strafregister.
Sofort steige ich auf meine Dachterrasse und schaue runter und was sehe ich. Anstatt dass der Depp die Mauersteine, die durch den Brand gelockert wurden, auf seinen Aschehaufen schmeißt, wirft er alles auf die Straße. Das heißt für mich, ich bin schon wieder blockiert und kann nicht mehr raus fahren. Ich frage ihn, ob er den Dreck auch wieder wegräumt. Zur Antwort kommt nur: „Mal schauen! “ Ich bin nicht gut auf ihn zu sprechen, aber solche Aussagen, die lösen in mir echte Aggressionen aus, er kennt das schon!
Und es brennt wieder
Zeit für eine weitere kleine Pause danach will ich den Boden putzen. Kaum stehe ich mit meinem Wischmopp im oberen Stock auf der Treppe, da glaube ich, dass ich meinen Augen nicht trauen kann. Schon wieder eine pechschwarze Rauchwolke. Genau da, wo Tags zuvor das Feuer war, züngelt die Rauchwolke in den Himmel. Nicht wie ein Friedensfeuerchen, eher wie eine Abreibung. Der Dorfplatz ist schon wieder total verraucht, die ersten Anwohner kommen aus ihren Häusern und beschweren sich. Ich schaue wieder von meiner Dachterrasse auf die Brandreste und was sehe ich? Der Depp hat tatsächlich mittendrin ein Feuer gemacht! Ein wirklich hübsches Lagerfeuer.
Anzeigen lohnt sich nicht mehr
Jetzt habe ich aber endgültig die Nase voll. Ich rufe meinen Kollegen an und erzähle ihm, dass Davide selbst ein Feuer gemacht hat. Mein Kollege ist auch genervt und geht zur Polizei, er will ihn endlich anzeigen. Der Polizist sagt ihm, er braucht ihn nicht anzeigen, das Konto von Davide ist bereits voll und sobald sie Zeit dafür haben, werden sie ihn einlochen! Aber im Moment gibt es noch schlimmere Typen als ihn, die kommen vorher dran. Unglaublich! Wenn sie Zeit haben…
Ein anderer Nachbar kommt mit seinem Fahrrad angefahren und möchte mich darüber informieren, dass sich der Brandherd wieder entfacht hat, das Feuer habe sich selbst entzündet, so sagt es ihm Davide. Ich weiß, dass Davide hinter der Hausecke steht und brülle, dass das Feuer sich nicht selbst entzündet hat, dieser Depp hat es angezündet! Mein Nachbar gibt mir ein Zeichen, dass ich leiser sein soll, Davide hört es. Da schreie ich noch lauter, dass es mir scheiß egal ist, Davide kann das gerne hören dieser Lügner. Vielleicht nicht die feine Art, aber irgendwo muss ich ja meine Aggressionen los werden und was läuft hier schon fein!
Es scheint zu wirken, denn urplötzlich ist das Feuer gelöscht. Interessanterweise habe ich seit dem kein Rauchfähnchen mehr aufsteigen sehen. Also nichts mit selbst entzündet und so, was unter Wasser steht, brennt nicht!
Und wieder gibt es eine Moral
Die Moral von dieser Geschicht‘ ist, dass man, vor allem dann, wenn man Hauseigentümer ist, eine gute Versicherung abschließen sollte, auch wenn das in Italien nicht Pflicht ist. Denn schließlich weiß man nie, welcher Depp im Nachbarhaus wohnt!
Ach ja, übrigens
Davide hat sein Haus inzwischen frisch gestrichen, in leuchtendem Rosa! Es scheint ihm aber die Farbe ausgegangen zu sein, denn das Wort Dieb steht jetzt in weißen und sauberen Buchstaben auf dreckigem Untergrund. Und auch hier gibt es eine Moral: Wenn du nur wenig Farbe hast, dann fange da an zu streichen, was du unbedingt überdeckt haben willst!