Warum werden die Toten in Italien so bestattet? Andere Länder, andere Sitten und die machen vor der Bestattungsweise nicht halt.
Schon immer hat mich der Gedanke, unter einer Masse von Erde begraben zu werden, frösteln lassen. Früher zumindest, hat man öfter davon gehört, dass Menschen begraben wurden, obwohl sie noch nicht tot waren. Mit Klopfen haben sie versucht gehört und aus dem tiefen Dunkel erlöst zu werden, bevor ihnen der Sauerstoff ausgeht.
Ich habe das immer auf die Unwissenheit und Schlamperei der damaligen Ärzte zurückgeführt. Heute sind die Methoden zwar besser und sicherer geworden, aber die Sparmaßnahmen der deutschen Regierung lassen mich irgendwie daran zweifeln, dass es wirklich besser geworden ist. Es muss doch immer alles zack zack gehen, um Geld zu sparen. Wie viel Zeit hat ein Arzt denn für einen Lebendigen zur Verfügung? Das sind Minuten! Da möchte ich nicht wissen, wie viel Zeit für einen vermeintlich Toten bleibt.
Aber jetzt erst einmal zur Geschichte der Bestattung in Italien
Die ersten Bestattungen finden in Katakomben, also unter der Erde statt. Es sind unterirdische Gänge mit ihren Gruften, in denen die Toten abgelegt werden. Damals glaubt man noch an die Auferstehung und deshalb wählt man diese Bestattungsverfahren.
Mit dem Aufkommen des Christentums werden die Toten in Massengräber beigesetzt, aus denen die Gebeine regelmäßig in sogenannte Beinhäuser überführt werden. Die Massengräber haben den Zweck, die Gräber zu anonymisieren und sie so der Zuneigung der Angehörigen zu entziehen und sie damit ihrer Funktion zu berauben, das Andenken an den Verstorbenen zu bewahren. Man soll für Gott beten und nicht für einen Toten. Nur die Reichen und Mächtigen erhalten eine eigene Kapelle in der Kirche, weil sie so dem Heiligen näher sind, dran glauben sie jedenfalls.
Napoleon Bonaparte hat dem ein Ende gesetzt und die Entstehung von Friedhöfen, so wie wir sie heute kennen, haben den Anfang gefunden. Die Toten bekommen wieder einen Namen auf dem Grabstein und man kann und darf sie betrauern.
Monumentalfriedhöfe oder Wandgräber
Bei meiner Recherche im Internet werde ich auch noch über verschiedenen Bestattungsarten aufgeklärt. Ein Wandgrab ist also der übergeordnete Begriff für die Bestattung in Wänden. Jedoch gibt es unterschiedliche Bezeichnungen für die Art des Einschubs des Leichnams.
Kolumbarien haben die Öffnung an der kurzen Seite und Galgengräber haben die Öffnung an der langen Seite. Aber egal wie, die ersten dieser Friedhöfe entstehen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Bis heute ist jedoch die gängigste Bestattungsart in Italien die Erdbestattung, obwohl ich diese Art nur aus dem Norden Italiens kenne. Im Süden hingegen sehe ich nur Wandgräber oder die kleinen Häuser.
Der Gedanke jedoch in einem Wandgrab, oder sogar in einem kleinen Haus mit genügend Platz bestattet zu werden, der gefällt mir hundertmal besser, als unter der Erde.
Besuch auf dem Friedhof
Weil ich es aber genau wissen möchte, warum man Bestattungen in Wandgräber oder diesen hübschen kleinen Häusern macht, statte ich dem Friedhof in Petrosino einen Besuch ab.
Der Zeitpunkt ist schlecht gewählt, denn ausgerechnet als ich eintreffe und nach dem Chef des Friedhofs suche, erfahre ich, dass in den nächsten Minuten eine Bestattung stattfinden soll. Also mache ich mich davon und komme ein paar Stunden später wieder.
Nicola, der Chef des Friedhofs freut sich sehr, dass sich jemand für seinen Friedhof interessiert. Er sagt, es sei das erste Mal, denn sonst kommen die Menschen nur zu Beerdigungen oder um zu trauern. Weil er sich so freut, erhalte ich bei über 30 Grad eine sehr ausführliche Führung kreuz und quer über den Friedhof. Der Friedhof ist groß und der Schweiß tröpfelt. Das, was ich erfahre ist wahrlich interessant und beruhigt mich tatsächlich bei dem Gedanken lebendig begraben zu werden, zumindest wenn das in Italien der Fall sein sollte.
Die Führung über den Friedhof
Die Führung beginnt mit der Information, dass seit 1955, mit Gründung des Friedhofs, bis heute im Juli 2023 ca. 40.000 Menschen bestattet worden sind. Am Coronavirus sterben in Petrosino 20 Personen. Für keinen von diesen musste etwas für die Beerdigung bezahlt werden. Der erste Corona-Tote erhält einen Platz direkt neben den Soldatengräbern am Eingang des Friedhofs.
Als Erstes führt mich Nicola in die Leichenhalle, da stehen drei Särge, das älteste Sterbedatum ist schon fast zwei Monate her. Er erklärt mir, dass diese Personen noch nicht bestattet werden konnten, da ihre Grabstätte einen technischen Mangel aufweisen und erst renoviert werden müssen. Man versteht das besser, wenn man erfährt, dass die erste Bestattung im Jahr 1955 erfolgt ist und die Toten in den öffentlichen Wandgräbern etwa 90 Jahre verweilen. Es sind zwar seit Gründung noch keine 90 Jahre vergangen, aber die Wandgräber werden an einem Stück gebaut und da kann es natürlich sein, dass der vor Jahrzehnten reservierte Platz inzwischen baufällig ist.
Während wir vor den Särgen stehen erzählt Nicola mir, dass die Toten zuhause erst einmal 24 Stunden verbleiben, so können die Angehörigen in Ruhe und in privater Atmosphäre ihre Toten betrauern und von ihnen Abschied nehmen. Danach kommen sie in die Leichenhalle und verbleiben wieder 24 Stunden bis zur Bestattung. Außer, das reservierte Grab muss erst noch renoviert werden.
Warum werden die Toten in Italien so bestattet
Vier Typen von Bestattungsmöglichkeiten – das Armengrab
Ich wiederhole meine Frage, warum werden die Toten in Wandgräber und kleinen Häusern bestattet. Nicola lacht und sagt, es sind keine „kleinen Häuser“, sondern private Kapellen. Eine Kapelle hört sich sehr nobel an, was es auch preislich ist, aber dazu später mehr. Dann lädt er mich zu einem Rundgang ein und zeigt und erklärt mir die vier Typen von Bestattungsmöglichkeiten.
Unsere erste Station sind die Gräber in der Erde. Es ist die billigste Art der Bestattung und ist quasi das „Armengrab“, dafür bezahlt man nichts. Wer sich dennoch einen Grabstein leisten kann und will, der darf das tun. Diese Bestattungen sind so wie ich das auch aus Deutschland kenne.
Da in Italien kein Toter und kein Körperteil unbestattet bleibt, bekommen auch die Kinder aus Schwangerschaftsabbrüchen einen Platz.
Vier Typen von Bestattungsmöglichkeiten – Einzelgräber
Die nächste Kategorie der Gräber sind Einzelgräber. Hier kann man sich zu Lebzeiten bereits einen Platz reservieren. Die Verweildauer in diesen Gräbern beträgt 90 Jahre. Die Toten werden in mit Zink ausgekleideten Holzsärgen bestattet und weil der Verwesungsvorgang so lange dauert, bleiben sie eben entsprechend lange dort.
Wie oben bereits erwähnt, bleibt auch kein Körperteil unbestattet. Muss zum Beispiel ein Arm oder ein Beim amputiert werden, dann werden diese Körperteile schon vorab im reservierten Wandgrab bestattet und wenn der dazugehörige Körper folgt, dann ist alles wieder vereint.
Ich frage Nicola, wie denn die Toten in die Wandgräber geschoben werden, mit dem Kopf oder mit den Beinen voraus, da lacht er mich fast aus und sagt, natürlich mit den Beinen voraus. Oder willst du, wenn du zu Besuch auf den Friedhof kommst, mit den Beinen sprechen? Ein Toter wird auch mit den Beinen voraus aus dem Haus getragen.
Vier Typen von Bestattungsmöglichkeiten – Private Kapellen
Die Vorgänger der privaten Kapellen waren Sarkophage, für die Reichen. Danach erst entstehen die privaten Kapellen. Aber es scheint wieder Mode zu werden, denn der erste Sarkophag ist bereits im Bau.
Die privaten Kapellen können sich jedoch nur die Reichen leisten. Denn der aktuelle Quadratmeterpreis liegt bei 1.000 Euro. Eine Kapelle misst ca. 25 – 30 m² und dann kommen noch die Kosten des Bauantrags, die eines Ingenieurs, der Handwerker usw. hinzu. Es wird ein Kaufvertrag beim Notar mit der Gemeinde gemacht, als würde man ein Grundstück kaufen. Das erklärt auch, warum diese privaten Kapellen ewig stehen bleiben. Fehlen irgendwann die Nachkommen oder sind diese ausgewandert, dann bleiben die Kapellen trotzdem erhalten. Vielleicht flattert eines Tages die Aufforderung ins Haus, die Kapelle zu renovieren, aber das war es dann auch. In einer Kapelle bleibt man also bis zum Sankt Nimmerleinstag bestattet.
Vier Typen von Bestattungsmöglichkeiten – Gesellschaftsgräber
Wer sich nach dem Tod noch etwas Luxus gönnen möchte und nicht gerade einsam in einem Einzelgrab liegen will, der kann sich ein Gesellschaftsgrab in einer privaten Kapelle kaufen. Hier kauft man sich quasi einen Anteil, so wie in einem Mehrfamilienhaus auch. Mit Kaufvertrag und Teilungserklärung und allem pipapo über den Notar.
Die Bestattungsunternehmen kaufen ganze Reihen von Grabplätzen und verkaufen diese dann einzeln, so wie eine Wohnung im Mehrfamilienhaus auch. Wie Nicola richtig bemerkt, mit einem ordentlichen Aufschlag, denn es ist ein gutes Geschäft.
Auf meine nochmalige Frage, warum man nun in Italien in privaten Kapellen und Wandgräbern bestattet, beantwortet mir Nicola so, dass der Ursprung der Bestattung für die Reichen die Sarkophage waren und die günstige Version davon die Wandgräber und eben die Kapellen. Außerdem wollen die Italiener nicht neben jemand X-beliebigem bestattet werden. Und deshalb will derjenige, der es sich leisten kann, mit seiner Familie auf immer und ewig verbunden bleiben und das in einem eigenen Haus, so wie zu Lebzeiten auch. Mit dem Unterschied, dass das letzte Haus sich dann Kapelle nennt.
Beim Verlassen des Friedhofs erzählt mir Nicola noch, dass er noch nie einen Toten gesehen habe und das bis auf Weiteres auch nicht vorhat. Jetzt muss ich lachen, ein Totengräber, der noch nie einen Toten gesehen hat, das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Ich frage ihn, ob er sich denn schon einen Platz reserviert hat. Da meinte er nur, „oh Gott, nein“, das wäre für ihn ein schlechtes Omen.